Montag, 11. Juli 2011

GESCHICHTE DER HEIMATLOSEN Familienwappen der Hossmanns

vor allem im Calanca-Tal 
Braggio (GR); Heimatort

Material aus dem Staatsarchiv Chur

erfasst von Prof. Dr. O. Semadeni, Chur

Ein Kapitel, welches damals den Gemeinden, der hohen Rechtssprechung
und der alten Regierung von Graubünden nicht wenig
Kopfzerbrechen bereitete, war jenes der «Heimatlosen». Im 1811 und
1813 hat der Kanton vesucht, diese Angelegenheit zu erledigen.
Die ersten Gesetze in diesem Zusammenhang wurden am 30. Juni
1815 und 25. November des Jahres 1819 erlassen. Anschliessend an die
kantonalen Verfügungen, hat die Mehrheit der Gemeinden ohne
weiteres die Heimatlosen als ihre Zugehörigen akzeptiert. Die
Kantone, alsdann, auf Basis der obgenannten Gesetze, brachten
die Übrigen in verschiedenen anderen Gmeinden unter. Im 1839
kam dann ein neues Gesetz, auf Basis dessen weitere 55 Leute auf
verschiedene Gerichtsbarkeiten verteilt wurden.
Im Calanca, aufgrund dieser Dispositionen, waren in den Jahren
1829 und 1839 3 Familien, und zwar die Kienzel, die Mehli und die
Sablonier. Die ersten zwei bekamen alsdann den Heimatort durch
Einkauf. Anschliessend die vollständige Urkunde in Worten:
«Arvigo, 14. Juli 1840
Anlässlich von dem Unterzeichneten Regenten formell
beordneten Versammlung in dieser Gemeinde von Arvigo,
vertreten durch Hr. Landamann Antonio Emanuele Pariboni
für 3 heimatlose Leute, namens
Maria Anna Mehli, 19-jährig, Crescenzia Mehli, 13-jährig
(Schwester) und Giuseppe Kuonzel, 7-jährig, alle katholisch, die
Begehren als Angehörige der Gemeinde von Arvigo aufgenommen
zu werden, effektiv aufgrund der guten Empfehlung des
Prefekten Hr. Gamboni, werden sie heute, nur im Hinblick auf
die geltenden Gesetze und gemeindlich vorliegenden und
zukünftigen Verordnungen akzeptiert. Gleichzeitig wird
verordnet, dass ihnen die nötigen Papiere und Bescheinigungen,
um als solche jederzeit anerkannt zu werden, ausgestellt
werden.»
Ein Schreiben der Staatskanzlei von Graubünden an das Justizdepartement
des Kantons Thurgau vom 18. November 1854, gibt
genauestens Auskunft über die Aufnahme der Heimatlosen, als Bürger
auf Basis des Gesetzes vom 3. Dezember 1851.

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Zuerst wurden die Heimatlosen nicht als Vollbürger akzeptiert oder
angesehen, sondern einfach nur als Angehörige. Somit konnten sie
nicht von den aristokratischen Güter profitieren, auch keine politische
bürgerliche Rechte ausüben. Also waren sie als Bürger zweiter Klasse
angesehen. Das Bundesrecht von 1851 ernannte sie endlich wahre
Vollbürger.
Im 1838 wurden im Kanton 208 Leute, Angehörige von 105 verschiedenen
Familien, ohne speziellen Druck von dritter Seite, auf verschiedene
Gemeinden spontan verteilt. Im 1850 stellte man fest, dass viele
Nicht-Graubündner im Kanton wohnten, die keine regulären Papiere
und Erlaubnisse besassen. Die meisten dieser Leute waren im Bezirk
Moesa ansässig. Es waren total 141 Familien mit 559 Leuten, alles
Leute, die aus Italien und aus dem Tessin in Mesolcina, im Laufe der
letzten 100 Jahre, zugezogen waren. Die Gemeinden, die diese neuen
Bürger akzeptierten und somit ihre Bilanz überlasteten, wurden vom
Kanton subventioniert.
Im Jahre 1853 wurde eine Untersuchung durchgeführt, um genau
festzustellen, wie viele Angehörige in jeder Gemeinde waren.
Es ergab sich die grosse Zahl von 4144 Personen, verteilt wie folgt auf
die Gemeinden:
Obervaz 74, Poschiavo 155, Cazis 136, Tartar 104, Jenaz 73,
Mastrils 132, Says 50, Trimmis 128, Untervaz 224, Zizers 190,
Lostallo 169, Mesocco 234, Roveredo 60, und 155 nicht erfasste,
Chur 510, Maladers 100.
Betreffend die Heimtlosen der Gemeinden Braggio, Rossa, Arvigo,
Selma, Santa Domenica und Cauco stellen wir fest, dass die Familien
Hossmann, Mittner und Frei nach Braggio, nach Rossa die Bacchini,
nach Arvigo die Kienzler und Mehli, nach Selma die Scherrer,
Brunner, Meier-Togni, die Pilati und Ratti, nach Santa Domenica die
Gruber und Büchler, und die Metzger nach Cauco kamen.
Nur die Franzetti und die Sablonier wurden im 1853 in Cauco
eingetragen, vielleicht aufgrund des Bundesgesetzes von 1851.
Alle andern Famlien erwarben ihren Heimatort auf reguläre Art.
Die Hossmann bezahlten in Braggio im 1835 für den Erwerb des
Heimatortes 18 Gold-Luigi, ca. 2800 Franken in heutiger Währung.
Die Mittner zahlten der gleichen Gemeinde 20 Luigi.
Die Bacchini waren Bürger von Rossa schon seit 1826.
Die Kienzler und die Mehli wurden Bürger von Arvigo zwischen
1840 und 1845.
Die Scherrer und Brunner zahlten in Santa Domenica, die ersten
8 Luigi die anderen 18 Luigi, und zwar in den Jahren 1833 und 1835.

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Die verschiedenen Verträge mit den betreffenden Gemeinden
wurden teils durch Advokat Teodoro Mohr ausgstellt. Als Protokollführer
figurierte der Baron de Mont.
Diese wenigen Zeilen genügen, um zu demonstrieren, dass die
Mehrheit der Einbürgerungen auf normale Art erfolgten, also nicht
erzwungenerweise, wie einige anzunehmen glaubten.
Nachstehend noch einige Angaben über einige dieser Famlien,
Notizen, die bestimmt für die betreffenden Gemeinden interessant
sind.

Wir beginnen mit den HOSSMANN

Der erste Hossmann von dem wir sicher Notiz haben, war Giuseppe
Antonio Hossmann, Sohn von Giovanni Hossmann, von Gerzensee,
Kanton Bern. Ab 1766 lebte der Hossmann dann etliche Jahre im
Wallis. Im Jahre 1802 erhielt er in der Gemeinde Gerzensee, durch die
Schweizerische Eidgenossenschaft eine Herkunfts-Urkunde. Im Jahre
1808 wurde ihm dieser Ausweis durch den Schulthess von Bern
wörtlich entzogen, weil Hossmann inzwischen zum katholischen
Glauben übergegangen war und auch schon mehr als 40 Jahre nicht
mehr in seiner Gemeinde anwesend war.
Der Hossmann hatte 2 Söhne: Giuseppe Nepomuk und Filippo.
Er zog nach Graubünden, wo er sich unter anderem in Untervaz,
als «Bäckermeister» aufhielt. Anschliessend ging er ins Oberland,
um später im 1818/1819 nach Untervaz zurück zu kommen. Von dort
wurde er von den Gendarmen nach Bern abgeschoben. Bern schickte
ihn alsdann zurück nach Graubünden mit 320.– Schweizer Franken,
um dort das Bürgerrecht in irgend einem Bündner Dorf zu kaufen.
Der Sohn Nepomuk heiratete inzwischen (20. April 1815) in San
Vittore eine gewisse Maria Brandschweiger aus Luzern. Auch der Sohn
Filippo heiratete 20-jährig Crescenzia Willinger aus San Vittore und sie
hatten ein Kind.
Untervaz nahm Beziehungen mit Neukirch in Lunganezza auf, damit
der alte Hossmann dort Bürger werden kann. Neukirch hätte ihn
akzeptiert, aber hätte ihm die Niederlassung dort verweigert, weil er
dort kein Grundstück hätte erwerben können. Mit Brief vom 29. Mai
1828 hat die Regierung von Graubünden Neukirch aufgefordert, dem
Hossmann in Neukirch keine Hindernisse in den Weg zu legen.
Bis 1835 liegen keine Akten mehr vor. In den Protokollen des
Kleinen Rates vom Jahre 1835, 9. Dezember, lesen wir, dass die
Familien Hossmann und Brunner ihren Bürgerort erwarben, die einen
in Braggio, die andern in Selma (siehe vorstehende Seiten).

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MEHLI

Eine interessante Familie sind auch die Mehli. Im Register der
Heimatlosen, Seite 17 lesen wir folgende Notiz:
Mehli Maria Crescenzia mit 2 unehelichen Töchtern Maria
Crescenzia und Marianna. Der Ehemann Xaver Mehli, Mels St.Gallen.
Die Ehefrau Maria Crescenzia, geborene Lengneuer, Angehörige des
Kantons Graubünden, die Töchter, vorerst der Gerichtsbarkeit «im
Boden» zugesprochen, in der Gemeinde von Arvigo als Bürger akzeptiert.
In einer anderen Notiz aus dem Buch «Notizen über die
Heimatlosen», Seite 53, lesen wir «Mehli Maria Crescenzia, Witwe,
geborene Lengneuer, Jahr 1764, 16. September. 58 jährig, verstorben
in Tomils, 1831. Der Ehemann, Mehli Xaver, zugezogen von Mels,
geboren 20. Januar 1759 in Eggenstanden, vagabondierte im Kanton
Graubünden und starb in Ems im 1817. Beruf «Kessler».
Töchter: Marianna Cristina, geboren 20. März 1784, 35-jährig,
vagabondiert. Sie behauptet in Rom einen gewissen N. Schäfer
geheiratet zu haben und 5 Jahre in Italien gelebt zu haben. Nach dem
Tod ihres Ehemannes, im 1825, nach Graubünden gekommen zu sein.
Marianna Crescenzia, 1787, 18. März, 34-jährig. Gestorben in Tamins
im 1877, im Alter von 90 Jahren.
Söhne: Gaspare, geboren 1801, 6. Juni. Alter 21. Gaspare heiratete
Catarina Tonini aus Cavergno im 1834. Die Familie kam im 1840
durch einen Erdrutsch um. Der einzige Überlebende war Gaspare,
er heiratete wieder im 1842. Ein Dekret des Kleinen Rates erklärte ihn
dann Bürger von Seth im Oberland.
Maria Crescenzia ging dann mit Giuseppe Gabler von Landeck,
hatten eine Tochter Maria Crescenzia, geboren 1820, Alter 2 Jahre
Marianna (Vater ein gewisser Schläpfer aus Appenzell) geboren 1827.
Gemäss Notiz aus den Akten IV 26 b Me (Staatsarchiv) wissen wir,
dass eine Maria Crescenzia Mehli Angehörige des Kantons
Graubünden war. Sie hatte 2 uneheliche Töchter, Maria Crescenzia
und Maria Anna. Diese beiden erwarben den Bürgerort von Arvigo,
sonst hätte Maria Crescenzia im 1851, 13. Februar, von der Gemeinde
Arvigo keine Herkunfts-Urkunde erhalten können. Die Schwester
Maria Anna hatte für einige Zeit nur einen Duldungsschein zusammen
mit der Mutter. Aus einer anderen Eintragung wissen wir schon, dass
die zwei Mehli in Arvigo als Bürger akzeptiert worden sind, im 1840,
14. Juli, zusammen mit einem gewissen Giuseppe Kuonzel (siehe
Entscheid der Gmeinde von Arvigo (Seite 1).
Für die Geschichte der Mehli (Meli) war dann das Leben der Marianna
(Maria Anna Crescenzia) geboren 1827, wichtig.

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Diese hatte eine uneheliche Tochter, Luigia Giovannina. Als Vater
wurde ein gewisser Schläpfer angegeben. Luigia, geboren in Faido am
1. Februar 1854; Arvigo stellt ihr am 9. Januar 1860 eine Herkunfts-
Urkunde aus. Damit ist bewiesen, dass die Mutter, Marianna, als
Bürgerin von Arvigo anerkannt war. Die Marianna lernte dann einen
gewissen «Schnürli» kennen und hatte mit ihm 3 uneheliche Kinder:
Giovanni Giuseppe, geboren in Jenaz im 1865;
Giovanni Giuseppe Felice, geboren in Biasca am 14. 8. 1866;
Carlo Francesco Luigi, geboren in Bodio (Tessin).
Im 1870 hat sich der Schnürli mit seinen Kindern in Serneus
niedergelassen.
Die Behörde, durch die Kantons-Polizei, hat sich dann eingemischt,
(Brief vom 3. November 1870), um diesem Konkubinat ein Ende zu
setzen. Von diesen Kindern leben noch Giovanni Giuseppe, verheiratet
mit einer Scherrer, niedergelassen in Ems.



BRUNNER

Das Familienoberhaupt war ein gewisser Giacomo Brunner, aus dem
Thurgau. Er war geboren in Zizers im 1763. Im 1784 heiratete er Maria
Barbara Zäch von Unterstaufen.
Sein Sohn Giacomo Brunner, geboren in Schruns, heiratete
Crescenzia Ott von Triesnerberg im 1825.
Giacomo erwarb den Bürgerort in Selma im 1835 und zahlte
18 Gold-Luigi. Die Brunner, die zurzeit in Selma unterstützt werden,
sind Nachkommen von diesem Giacomo Brunner. Der Regent
Teodoro Mohr hatte die Verfahren zum Erwerb der Einbürgerung
vorgenommen.



GRUBER

Es war nicht möglich, festzustellen, woher die Gruber kamen.
Wahrscheinlich aus dem Kanton St. Gallen. Ein gewisser Andrea
Gruber, geboren 1783, 12. November, heiratete eine gewisse Maria
Maddalena Fink, geboren 1784 in Widnau, St. Gallen. Sie hatten
folgende Kinder:
Nicolao, Giovanni und Caterina. Aus erster Ehe mit Crescenzia
Mühlbach wurden Giuseppe Valentino und Andrea erzeugt. Vom
Letzten kennen wir das genaue Geburtsjahr, 1811. Im 1830, mit der
Erlaubnis der Regenz, erwarb er das Bürgerrecht in der Gemeinde von
Santa Domenica, zahlte 8 Gold-Luigi, sowie ein «kleiner Drink für die
Nachbarn und die dort Versammelten».
Nach dieser Akzeptierung entschloss Santa Domenica in Zukunft
keine neuen «Nachbarn» mehr anzunehmen (Akte IV 26 Gi).

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METZGER

Das Buch «Notizen über Heimatlose», Seite 66, sagt aus:
Metzger Johann Martin, geboren 1776, 1. Januar, 52-jährig. Erwarb
mit der Erlaubnis der Regierung, im 1817, das Recht der Einbürgerung
in Cauco. Später erhielt er die Herkunfts-Urkunde. Als sie erneuert
werden sollte, hat Cauco dies verweigert. Metzger hat sich deshalb an
die Regierung von Chur gewandt.
Aus der Geburtsurkunde geht hervor, dass dieser Metzger aus
Tettnang, Svevia, kamen. Sein Vater hiess Gebardo Metzger, seine
Mutter Anna Maria Mangelin aus Brunecco. Der Giovanni Martino
heiratete Caterina Marbenas(?), geboren 1778. Seine Kinder waren
Cristina, Martino, Maria Barbara und Giuseppe.
Die Akten über den Erwerb der Einbürgerung befinden sich in den
Protokollen des Kleinen Rates des Jahres 1828, No. 637.



BACCHINI

Dass gewisse Bacchini Bürger von Rossa waren, geht unter anderem
aus einem Brief des Konsuls von Rossa, verbunden mit der Herkunfts-
Urkunde für Francesco Bacchino (Protokolle des Kleinen Rates vom
19. Mai 1839, No. 901) hervor.
Interessant für die Geschichte dieser Familie ist die Notiz aus dem
Heft IV 26b, Ba).
Der regierende Richter von Rossa, Francesco de Giacomo sandte
3 Herkunfts-Urkunden an die Regierung von Chur mit folgendem
Vermerk:
«Gemäss Willen unserer guten Regierung senden wir Ihnen gerne
die gewünschten 3 Heimatscheine zugunsten von Giovanni Bacchini.
Solche Landstreicher sollten wenigstens, mit Auszug aus dem
Taufschein, in der eigenen Gemeinde die Geburt ihrer Nachkommen
registrieren, damit die Regierung genaue Kenntnisse über ihre Bürger
hat.»

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